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SERIE: Wirkstoffe der orthomolekularen Medizin für negative Symptome:
2. GLYCIN
Antipsychotika sind bei der Verbesserung negativer und kognitiver Defizite, die mit der Bewältigung des Alltags und der Lebensqualität eines Patienten zusammenhängen, relativ unwirksam. Negativsymptome und kognitive Defizite können mit den bisher entwickelten Antipsychotika nicht behandelt werden, im Gegenteil - diese führen zu sogar einer Verschlechterung dieser Symptome.
Ein hoher Prozentsatz (20 bis 50 %) schizophrener Patienten zeigt fortgesetzt negative Symptome und Denkstörungen trotz Behandlung mit Antipsychotika als Dopamin-blockierende Mittel, was darauf hindeutet, dass neue Behandlungsansätze notwendig sind. Zweitens wurden für die Mehrheit der schizophrenen Patienten keine eindeutigen Störungen der dopaminergen Neurotransmission gezeigt. In dem Ausmaß, in der ein Überschuss an Dopamin existiert, kann dieser somit nur die Folge von Störung in anderen Neurotransmittersystemen sein. Eine antidopaminerge Behandlung kann daher, obwohl sie die Symptome kontrolliert, die zugrunde liegenden Krankheitsursachen nicht beheben.
Da der Glutamat - Signalweg an kognitiven/sozialen Funktionen beteiligt ist und die Glycin-Modulationsstelle (GMS) ein potenzielles therapeutisches Ziel zur Verstärkung von Glutamat- Rezeptoren darstellt, besteht großes Interesse an der Untersuchung der Wirkung direkter und indirekter GMS-Modulatoren und ihres therapeutischen Potenzials.
In den letzten Jahrzehnten haben überzeugende Studien die Glutamat Hypothese bei Schizophrenie gestützt und einige vielversprechende therapeutische Wirkstoffe vorgeschlagen. Insbesondere einige N-Methyl-D-Aspartat-Glutamat-Rezeptor (NMDAR) verstärkende Wirkstoffe, insbesondere solche, die über die Glycin-Modulationsstelle (GMS) von NMDAR wirken, führen bei Patienten mit Schizophrenie zu einer signifikanten Verringerung psychotischer und kognitiver Symptome. (2) (3) (4)
Eine Funktionsstörung des NMDAR ist an der mutmaßlichen Pathologie der Schizophrenie beteiligt. Es besteht ein wachsendes Interesse am Potenzial von NMDAR - Modulatoren, wie Glycin, D- Serin und Sarkosin die Symptome der Schizophrenie zu verbessern.
WAS IST GLYCIN?
Glycin ist die kleinste der insgesamt 22 Aminosäuren, aus denen Proteine im menschlichen Körper bestehen. Glycin ist eine Aminosäure, die beispielsweise in Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchten und Haferflocken enthalten ist. Im menschlichen Organismus ist sie in allen Zellen und Geweben vorhanden und erfüllt dort vielfältige Aufgaben. Seine Größe, genauer seine Winzigkeit, erlaubt der Aminosäure Glycin, zahlreiche Funktionen auszuüben. Als wichtiger Bestandteil von zahlreichen Substanzen hemmt es Entzündungen, vernichtet freie Radikale und schützt Gewebe, Organe und einzelne Zellen.
Die Aminosäure unterstützt die Versorgung unserer Zellen mit Energie auf mehrfache Weise. Glycin ist daran beteiligt, Hämoglobin zu bilden – der Stoff, der Sauerstoff im Blut transportiert. Untersuchungen zeigen, dass Glycin Arteriosklerose, der Verengung der Arterien am Herzen, vorbeugen hilft. Darüber hinaus wirkt sich die Aminosäure günstig auf den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel aus. Das kann zu günstigen Blutfettwerten beitragen. Mehrere Studien belegen, dass Glycin zu höheren Insulinspiegeln im Blut führt. Das ist besonders interessant für Menschen mit Typ 2 Diabetes. Die Aminosäure kann sogar das große Entgiftungsorgan, die Leber, vor Schäden schützen. Am Menschen haben Mediziner mit Glycin bei Lebertransplantationen gute Erfahrungen gemacht. (1)
Auch im Gehirn entfaltet sie als hemmender (beruhigender) Neurotransmitter zahlreiche Wirkungen – unter anderem verbessert sie den Schlaf und stärkt das Gedächtnis.
Allerdings verringert sich mit zunehmendem Alter die Fähigkeit des Körpers, Aminosäuren und Proteine zu bilden. Deshalb plädieren viele Wissenschaftler für eine zusätzliche Einnahme, um die Gesundheit zu stärken. (1)
Wie wirkt Glycin ?
Glycin hat die Fähigkeit die NMDAR-vermittelte Neurotransmission zu verstärken und ist an der Modulation anderer Neurotransmittersysteme (wie dem Dopamin-Glutamat-Wechselspiel) beteiligt.
Entzündungen
In allen Geweben und Organen des Körpers kann die Aminosäure Glycin Entzündungen verringern. Im Immunsystem hemmt Glycin unter anderem die Bildung von entzündlichen Botenstoffen wie Zytokinen. Seine schützende Wirkung für Zellen entfaltet Glycin besonders gut im Darm. So hat sich in Versuchen gezeigt, dass die Aminosäure die Darmwand vor chronischen Entzündungen bewahren kann. Die Zellen des Darms profitieren offensichtlich besonders stark von Glycin. Bereits nach zwei Tagen zeigte eine Nahrungsergänzung mit dieser Aminosäure messbare Erfolge an der Darmwand. Außerdem stärkt die Aminosäure die Darmbarriere.
Oxidativer Stress
Der Stoffwechsel braucht Glycin, um Glutathion zu bilden. Diese Substanz ist das wichtigste körpereigene Antioxidans, das freie Radikale vernichtet. Fehlt Glutathion im Körper, kann es leicht zu oxidativem Stress kommen, ein Risikofaktor für Psychosen, Schizophrenie und alle gängigen Zivilisationskrankheiten. Zudem kann Glutathion die Blut-Gehirn-Schranke nicht überwinden. Das Gehirn braucht also eine gute Versorgung mit Glycin, Cystein und Glutamat, um daraus Glutathion zu bilden
GLYCIN BEI PSYCHOSEN UND SCHIZOPHRENIE
In einer Studie, in der die Glutamat- und Glycinspiegel untersucht wurden, wurde ein Anstieg dieser beiden Aminosäuren im Vergleich zu Kontrollpersonen festgestellt, was mit den glutamatergen Dysfunktionen seit der akuten Frühphase psychotischer Erkrankungen übereinstimmt.
Glycin ist an der Modulation anderer Neurotransmittersysteme (wie dem Dopamin-Glutamat-Wechselspiel) beteiligt. Tatsächlich wurde gezeigt, dass Glycinspiegel mit Schizophreniesymptomen zusammenhängen. Darüber hinaus wurde ein Zusammenhang zwischen hohen Glycin-Plasmaspiegeln und dem mangelndem sensomotorische Gating (Reizverarbeitung) festgestellt, das bei Schizophrenie häufig vorkommt.
Behandlung
Es wurde gezeigt, dass Glycin negative Symptome bei einer Dosierung von 0,4 g - 0,8 /kg/Tag lindert. Aktuelle klinische Studien haben übereinstimmend auch darauf hingewiesen, dass eine hohe Glycindosis mit einer Verbesserung der klinischen Bewertungsskalen der Schizophrenie verbunden ist, insbesondere der Skalen negativer Symptome.
Die glycininduzierte Steigerung der NMDAR-vermittelten Neurotransmission wird als potenziell sicherer und praktikabler Ansatz zur Linderung negativer Symptome der Schizophrenie angesehen. Glycin scheint sicher zu sein, selbst bei Dosierungen 0,8 g/kg Körpergewicht pro Tag bei schizophrenen Patienten. (2)
Basierend auf diesen Erkenntnissen und angesichts der NMDAR-Unterfunktionshypothese der Schizophrenie legen die Fähigkeit von Glycin, die NMDAR-vermittelte Neurotransmission zu verstärken, und sein gutes Verträglichkeitsprofil sowohl in der akuten als auch in der chronischen Behandlung nahe, dass dieses Molekül als therapeutischer Ansatz von behandlungsresistenter Schizophrenie in der Pharmakotherapie nützlich ist. (2)
Studien
Mehrere Studien wurden durchgeführt, in denen Glycin als Zusatztherapie getestet wurde. In der Literatur wurden vierzehn Studien durchgeführt, die die Wirksamkeit von Glycin als Verstärkungsstrategie bei der Behandlung von Schizophrenie untersuchten, darunter 11 placebokontrollierte randomisierte klinische Studien (RCT) und drei offene Studien.
Ziel einer Studie von 2017 war es, z.B. die Auswirkungen der akuten und 6-wöchigen Glycinverabreichung bei Schizophreniepatienten zu bestimmen. 22 Patienten (Schizophrenie oder schizoaffektive Störung, ) durchliefen eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie mit Glycin der ersten Dosis (0,2 g/kg) und nach 6 Wochen Behandlung (erhöht auf 0,6 g/kg/Tag). Die klinischen Symptome wurden zu Beginn und nach 6-wöchiger Behandlung beurteilt. Sechs Wochen chronische Glycinverabreichung verbesserten die PANSS-Gesamt-, PANSS-Negativ- und PANSS-Allgemeinsymptome im Vergleich zu Placebo. Diese Ergebnisse untermauern die Vorteile einer chronischen Glycinverabreichung und zeigen erstmals, dass akutes Glycin die MMN-Dauer bei Schizophrenie verbessert. MMN ist ein Biomarker für Glutamat-induzierte Verbesserungen der klinischen Symptome.
2021 wurden Daten aus RCTs einer Metaanalyse unterzogen, die interessante Ergebnisse lieferte. Insbesondere unter NMDAR-Co-Agonisten, die zusätzlich verabreicht wurden, hat sich Glycin als wirksam bei der Reduzierung der SANS- und PANSS-Gesamtscores sowie bei therapieresistenten Patienten erwiesen.
Diese Metaanalyse wurde durchgeführt, um die Wirksamkeit und Sicherheit von NMDAR-Modulator-Ergänzungsmitteln bei Patienten mit Schizophrenie zu testen. Nach einer systemischen Suche in Datenbanken wurden 40 doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Studien mit 4937 Patienten mit Schizophrenie in diese Metaanalyse einbezogen. Die Veränderung der Schwere der Symptome bei Patienten mit Schizophrenie wurde als erstes Untersuchungsziel definiert, während die Sicherheitsprofile der Intervention, einschließlich der Abbruchrate und unerwünschter Ereignisse, als zweites Untersuchungsziel definiert wurden. (4)
Die Ergebnisse: NMDAR- Modulatoren verbesserten mehrere Schizophreniesymptome, insbesondere negative Symptome, und hatten zufriedenstellende Nebenwirkungen und ein zufriedenstellendes Sicherheitsprofil. Unter den sieben analysierten glutamatergen Wirkstoffen hatten Glycin, D-Serin und Sarkosin bessere Behandlungsprofile als andere Wirkstoffe, und NMDA-Rezeptor-Co-Agonisten sorgten als Gruppe für eine Verringerung der Schizophreniesymptome im Vergleich zu antipsychotischen Behandlungen ohne Ergänzung.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass N -Methyl- D -Aspartat-Rezeptor-Modulatoren, insbesondere mit Glycin, D-Serin und Sarkosin bei der Behandlung von Schizophrenie vorteilhafter sind als das Placebo, und dass sich die Wirkung sowohl auf positive als auch auf negative Symptome erstreckt. Zudem kann Glycin kognitive Symptome senken, d.h. das Gedächtnis stärken und die Aufmerksamkeit verbessern.
Die Verstärkung des NMDAR-Modulators war bei Patienten, die Clozapin erhielten, nicht wirksam, wahrscheinlich aufgrund des Clozapin-„Deckeneffekts“ auf die Verstärkung der NMDAR-Übertragung.
Depression, Angst, Stress und Schlafstörungen
Glycin gehört wie GABA zu den hemmenden (beruhigenden) Neurotransmittern. Sie setzen die Erregbarkeit einer Nervenzelle herab. Glycin ist unter anderem ein hemmender Neurotransmitter, der Signale im zentralen Nervensystem abschwächt und somit die Entstehung von Angstgefühlen, Reizbarkeit und Aggressivität eindämmen kann. Glycin wirkt unter anderem auf Signalwege ein, die Sinneswahrnehmungen und Schmerzempfinden steuern.
Depression
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Glycinrezeptoren für die Behandlung von Depressionen genutzt werden können. Glycin verbessert die Stimmung durch zwei Wirkmechanismen:
Als Bestandteil des körpereigenen Antioxidans Glutathion hilft Glycin, oxidativen Stress im Gehirn zu verringern. Mittlerweile gilt als erwiesen, dass oxidativer Stress bei psychiatrischen Krankheiten, wie Psychosen, Schizophrenie, Depressionen und Angstzuständen eine große Rolle spielt.
Angst
Der bekannte Orthomolekularmediziner und Psychiater Abram Hoffer empfiehlt die Einnahme auch bei Panikattacken: Unter der Zunge liegend in einer Dosierung von 2-3 g. Das süßlich schmeckende Pulver sollte für einige Minuten im Mund behalten werden um eine schnelle Aufnahme über die Schleimhäute zu gewährleisten, bevor es geschluckt wird. Der Vorgang kann mehrmals wiederholt werden bis eine Besserung der Angstsymptome eintritt. Vermutlich kann Glycin als hemmender Neurotransmitter auf diesem Weg die Ausschüttung von Stresshormonen wie Noradrenalin reduzieren.
Schlaf
In einer Studie wurde die von Hoffer empfohlene Dosierung von 3 g Probanden mit Schlafstörungen verabreicht. Die Glycin-Gruppe fühlte sich am nächsten Morgen erfrischter und erholter als die Probanden die nur ein Placebo erhielten.
Es ist nebenwirkungsarm, sehr günstig und hat sogar einen angenehm süßen Geschmack. Bei Schlafstörungen, Stress und milden Angstsymptomen ist es daher empfohlen.
In Ländern wie Russland, Litauen oder Polen sind Lutschtabletten mit 100 mg-300 mg Glycin weit verbreitet und ein beliebtes, natürliches und nebenwirkungsarmes Anti-Stress-Mittel.
Dosis und Einkauf
Es wurde Studien gezeigt, dass Glycin negative Symptome bei einer Dosierung von 0,4 g - 0,8 /kg/Tag lindert. Es wird zur empfohlen nicht allein Cystein in Form von NAC einzunehmen sondern gleichzeitig auch mit Glycin.
In einer Studie mit älteren Personen und einer Kontrollgruppe von jüngeren Personen hatten die älteren zunächst weniger Glycin und weniger Cystein in ihren roten Blutkörperchen und auch einen niedrigeren Glutathionspiegel als die jüngeren. Nach 14-tägiger Einnahme von NAC (130 mg pro Kilogramm Körpergewicht) und Glycin (100 mg pro Kilogramm Körpergewicht) konnten keine Unterschiede mehr beim Glutathionspiegel der beiden Altersgruppen festgestellt werden. Insbesondere bei älteren Menschen könnte es daher sinnvoll sein, an beide Aminosäuren zu denken, nicht nur an Cystein.
Studien und Quellen
(1) https://bonebrox.com/blogs/blog/gly…ten-aminosaeure
(2) Rational and Translational Implications of D-Amino Acids for Treatment-Resistant Schizophrenia: From Neurobiology to the Clinics. Andrea de Bartolomeis , Licia Vellucci , Mark C. Austin , Giuseppe De Simone, Annarita Barone, 2022
(3) Die Auswirkungen von Glycin auf die Negativität der auditiven Fehlanpassung bei Schizophrenie
Lisa-Marie Greenwood, Sumie Leung, Patricia T. Michie, Amity Green, Pradeep J Nathan, Paul Fitzgerald, Patrick Johnston, Nadia Solowij , Jayashri Kulkarni , Rodney J. Croft , 2017
(4) Goh, K.K.; Wu, T.H.; Chen, C.H.; Lu, M.L. Efficacy of N-methyl-D-aspartate receptor modulator augmentation in schizophrenia: A meta-analysis of randomised, placebo-controlled trials. J. Psychopharmacol. 2021, 35, 236–252.